Natürlich darfst Du zeigen, wenn Dich etwas berührt – auch im beruflichen Kontext. Jeder darf das. Dennoch ist Mitweinen etwas anderes als sich von der Trauer, der Liebe, dem Schmerz, der Freude der anderen berühren zu lassen.


Vom Umgang mit eigenen Gefühlen

Gefühle kommen und gehen. Das lässt sich gut bei kleinen Kindern beobachten. In einem Moment sind sie tieftraurig, im nächsten Moment entdecken sie etwas Spannendes und rennen über die Wiese. Auch bei Erwachsenen kommen und gehen die Gefühle. Wenn wir sie nicht festhalten. Wenn wir unsere Konzepte über „richtiges“ Fühlen sein lassen.

Mit der Trauer ist das so eine Sache. Sie kommt und sie geht. Sie hat unzählige Gesichter. Sie lässt sich nicht planen. Manchmal ist sie ganz furchtbar, man hat das Gefühl, dass einen der Schmerz zerreißt. Manchmal ist sie leise, ein leichtes Beben im Körper, oder laut mit tiefem Schluchzen. Kühl und heiß, gedankenleer oder grübelnd. Lachen gehört zu ihr und Weinen. Schmunzeln und Wehmut. Innere Leere und tiefe Liebe. Wohltuender Kontakt und Alleinsein.

Manche Menschen funktionieren, weil die Umgebung nicht hilfreich ist, um sich Gefühle zu erlauben. Manche haben es verlernt zu fühlen, sie versuchen eine Situation mit dem Verstand zu bewältigen. Andere versinken in Gefühlen und kennen in sich nicht den sicheren Ort, der um die Beschaffenheit von Gefühlen weiß. Alle Facetten der Trauer beeinflussen sich gegenseitig und können auch nach Jahren wieder auftauchen.

Das ist auch bei den Menschen so, die zufällig den Beruf „Trauerredner*in“ auf ihrer Visitenkarte stehen haben. Wer zu Trauernden und über das Trauern spricht, sollte mit den eigenen Gefühlen vertraut sein. Sonst wird ihn eines Tages unerwartet die Trauer einholen. Vielleicht in einem unpassenden Moment. Oder die Arbeit kostet viel Kraft, weil es anstrengend ist, die eigenen Gefühle in Schach zu halten.

Wenn man plötzlich selbst traurig wird

In Interview mit Bestattern oder Trauerrednerinnen finden sich immer wieder Sätze wie: „Wer mitweint, der kann nicht mehr helfen.“ „Manchmal würde ich am liebsten mitweinen. Aber ich darf nicht, ich muss weitermachen.“ „Ich kann ich nicht derjenige sein, der am bittersten weint.“

Vor einiger Zeit gab es eine längere Diskussion in einer Facebookgruppe. Eine junge Bestatterin sorgte sich, dass sie eine Trauerfeier nicht überstehen wird, ohne in Tränen auszubrechen. Die Angehörigen hätten sich ein Lied ausgesucht, bei dem sie befürchtete, dass es bei ihr alle Schleusen öffnet. Es erinnere sie zu sehr an einen eigenen großen Verlust.

In den Diskussionsbeiträgen waren alle Formen von Bewältigungsstrategien für die eigenen Gefühle vertreten. Das ging von „sich zusammenreißen, weil es nicht um dich, sondern um die Angehörigen geht“ bis zu „weine ruhig mit, wenn die Gefühle da sind. Du bist auch nur ein Mensch“.

Eine Situation aus den Anfangsjahren meiner Tätigkeit als Rednerin hat mich immer weiter fragen lassen, wie ein guter, ein angemessener, ein passender, ein professioneller Umgang mit der eigenen Trauer aussehen kann. Die Reihensetzung von gut/ angemessen/ passend/ professionell ist bewusst gesetzt, denn damit sind einige Fragen verbunden

  • Kann man einen solchen Umgang mit eigener Trauer lehren und lernen?
  • Muss eine Rednerin/ ein Redner in dieser Frage geklärt sein, wenn sie oder er in den Beruf geht?
  • Kommt ein Leistungsanspruch in die Trauer, wenn ich von gut, angemessen, passend oder professionell spreche? Eine Messlatte, die nur Druck macht, anders sein zu sollen, als man gerade ist?

Wie mich meine eigene Trauer unerwartet eingeholt hat

Es ist jetzt schon viele Jahre her. Ich bekam den Auftrag über einen Bestatter. „Da ist ein Kind gestorben“, hieß es nur. Ich fuhr zu den jungen Eltern. Die Mutter saß in der Ecke des Sofas und umklammerte mit ihren Armen ein Sofakissen. Der Vater versuchte die Stellung zu halten und übernahm die Beantwortung meiner Fragen. Ihr Kind war an plötzlichem Kindstod gestorben. Ich wurde ins Schlafzimmer zum leeren Kinderbett geführt, das Unfassbare war im Raum und ich hatte keine Worte dafür. Ich weiß nicht mehr, wie ich durch dieses Gespräch gekommen bin. Irgendwann beendete ich den Besuch.

Als ich wieder im Auto saß, konnte ich nicht losfahren. Aus mir brachen die Tränen heraus. Mich erfasste ein tiefer Schmerz, diese Art von Schmerz, bei dem man meint, er würde einen innerlich zerreißen. Mich hatte meine eigene Trauer unerwartet eingeholt. Der wortlose, unfassbare Schmerz der Eltern, von denen ich gerade kam, hat meinen eigenen verborgenen Schmerz erreicht. Eine Trauer, die seit meiner Kindheit in mir verkapselt war, hat sich Bahn gebrochen.

Erst nach dem Schmerz kam das Verstehen. Es war die Trauer um meinen kleinen Bruder, der als Frühgeburt auf die Welt kam und nur wenige Tage lebte. Ich habe ihn nie gesehen. Von ihm geblieben ist nur den Eintrag im Familienbuch und eine vergilbte Quittung über den Kauf eines Kindergrabes. Es war die Trauer über mein Elternhaus, in dem es damals keinen Raum für Trauer gab, nicht bei den Eltern und schon gar nicht bei einem fünfjährigen Mädchen. Soweit die Erfahrung.

Die Reflexion:

  • Ich bin diesen jungen Eltern/ der Situation/ den Umständen, bis heute dankbar. Ausgelöst durch ihre Trauer konnte ich meine eigene Trauer spüren.
  • Zu keinem Zeitpunkt habe ich jungen Eltern mit meiner Trauer behelligt. Ich habe mir mit Hilfe einer Therapeutin für diese wichtige Erfahrung in meinem Leben selbst einen Raum gegeben.
  • Diese verborgene Trauer hat mich, neben einigen anderen Lebensthemen, in den Beruf geführt. Das weiß man aber vorher nicht.

Weil mich die Trauerfeier so berührt hat. Weil die Trauerfeier so furchtbar war.

Im Gespräch mit Menschen, die sich für den Beruf Trauerredner interessieren, tauchen immer wieder diese beiden Motive auf. Manche erleben bei einer Trauerfeier einen freien Redner und sind berührt von den Worten und der Gestaltung der Feier. Sie spüren, wie wichtig dieser Moment im Gesamt des Abschiednehmens ist. Andere erleben lieblose Beerdigungen und gruselige Trauerreden und spüren, dass es etwas anderes für einen guten Abschied braucht. In beiden Fällen geht es um den inneren und äußeren Raum für das Abschiednehmen. Wenn Tränen zu einer Situation dazu gehören, dann beim Abschied von einem Menschen. Wenn das gemeinsame Leben in all seinen Facetten erinnert werden will, dann in der freien Gestaltung dieser Lebensfeier.

Gefühle spielen immer eine Rolle. Was ich bei den Interviews mit Bestatterinnen oder Trauerredner interessant finde ist die Beschreibung der Gefühle im Extrem: „Die Trauerfeier nicht überstehen“, „Selbst in Tränen ausbrechen“, womöglich „jedem Trauernden schluchzend um den Hals fallen“. Auf der anderen Seite steht die Kontrolle über die Gefühle: „einen klaren, einen kühlen Kopf bewahren“, „nicht die Fassung verlieren“, „ich darf nicht mitweinen, ich muss weitermachen“. Für andere ist das Mitweinen eine Option, weil man die Kontrolle wieder erlangen kann: „Warum soll es den Menschen schaden, wenn man mit ihnen weint? Als Bestatter verfüge ich über den notwendigen Sachverstand um auch eine durchweinte Situation wieder in den Griff zu bekommen.“

Sich vom Moment berühren lassen

Es gibt noch einen anderen Umgang mit Gefühlen. Selten taucht die Trauer bei einer Begleitung in der Extremform auf. Eher ist es die Angst vor dem Kontrollverlust, als dass die Begleitenden in Tränen ausbrechen. Bei mir war es in über zwanzig Jahren ein einziges Mal in der eben beschriebenen Situation, nicht während einer Trauerfeier, sondern nach einem Gespräch. Ich war während eines Gesprächs oder in einer Beerdigung nie selbst so ergriffen, dass ich mich wieder „in den Griff“ bekommen musste. Ich bin berührt und gleichzeitig ganz in meiner Rolle als Rednerin und Begleiterin.

Es kommt sogar recht häufig vor, dass ich vom Moment berührt bin. Mich berührt es, wenn ich die tiefe Liebe spüre. Wenn vier erwachsene Söhne sich dabei abwechseln, die Urne ihrer Mutter zum Grab zu tragen. Wenn Kinder in tiefem Ernst ihre bunt bemalten Steine neben das offene Grab ihrer Omi legen. Mich berührt es auch, wenn der alte Vater bei der Beerdigung seiner Frau die Nähe seiner Tochter sucht und diese sich abwendet. Wenn ich die Verzweiflung in den Augen einer Frau sehe, die noch gar nicht fassen kann, dass ihr Mann nicht mehr da ist.

Ich weine nicht selbst um die Mutter, die Omi, den Vater, den Mann. Ich weine auch nicht mit, denn ich bin nicht von dem konkreten Verlust ergriffen. Aber ich lasse mich von den Gefühlen der Menschen berühren, fühle mich ihnen nah. Dann schwellen auch meine Schleimhäute an und ich habe Tränen in den Augen. Warum sollte ich das verhindern wollen?

Manchmal nehme ich von einem Auftrag noch etwas an Gefühlen mit. Wenn ich es bemerke, dann nehme ich mir Zeit dafür. Meist verbirgt sich dahinter ein Thema, das für mich selbst relevant ist. Wenn dann die Tränen kommen, weine ich um meinen eigenen Verlust. Manchmal bin ich einfach erschöpft, weil ich inmitten der unterschiedlichsten Gefühlslagen der Menschen einen klaren Kopf bewahrt habe.

Auch Angehörige nehmen mein Berührtsein wahr. Sie sehen manchmal Tränen in meinen Augen und fühlen sich dennoch gut begleitet. Ich freue mich über Rückmeldungen wie diese: „Vielen lieben Dank für die gute Moderation und noch Mal für das Gedicht. Mich hat besonders beeindruckt zu sehen wie du dich bei all deiner Übung und Professionalität von der Stimmung im Moment berühren lässt.“

Die eigene Trauererfahrung als Kraftquelle und Kompetenz

Bei der Entscheidung als Redner oder Rednerin zu arbeiten, spielen oft eigene Erfahrungen eine Rolle. Selbst durchlebte Abschiede und geglückte Begegnungen motivieren, anderen hilfreich zur Seite zu stehen. Manchmal ist es auch die Suche nach Lösungen, wenn ein eigener Abschiedsprozess ins Stocken geraten ist.

Das Seminar unterstützt Dich, eigenen Erfahrungen nachzuspüren, Trauer als heilsame Kraft zu erfahren und mit eigener Betroffenheit umzugehen. Du kannst in einem geschützten Rahmen die verschiedenen Facetten der Trauer ausloten und für Deine Arbeit nutzbar machen.

Das Seminar „Die Trauer der Trauerredner*innen. Eigene Trauererfahrung als Kraftquelle“ findet vom 24. – 25. September 2022 in Gießen statt.

Alle Informationen und das Anmeldeformular findest du, wenn du den Button klickst.


Beitragsbild: Fotolia.com / Urheber: Liona Toussaint