Mit ChatGPT ging im November 2022 eine neue Plattform online, die mittels künstlicher Intelligenz Texte schreibt. Sie kann noch viel mehr, aber hier soll es um die Frage gehen: Ist das automatisierte Texten eine Konkurrenz für Trauerrednerinnen und Trauerredner?


Was ist ChatGPT

Zuerst einmal, was es nicht ist: ein Mensch. Hinter ChatGPT verbirgt sich eine künstliche Intelligenz, die mit riesigen Datenmengen gefüttert und lange Zeit unvorstellbarer Rechnerleistung innerhalb kürzester Zeit Ergebnisse produziert. Die Maschine ist lernfähig und verändert so ihre Antworten auf die gestellte Frage. Sie schreibt E-Mails, Programmiercode oder Bewerbungen. Wenn man sie dazu auffordert, verfasst sie auch Gedichte und Trauerreden.

Sie nimmt nicht einfach Texte, die man auch bei einer Google-Suche finden würde (was enorme rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde, weil massenhaft Urheberrechte verletzt wären), sondern setzt aus tausenden von Möglichkeiten seine Antworten passgenau zusammen. In Zukunft werden wir uns bei allen Arten von Texten fragen, ob sie von einem Menschen oder von der Software geschrieben wurden. Es entsteht im Chat mit dem Bot der Eindruck, man habe es mit einem selbstständig denkenden Gegenüber zu tun.

Kann die künstliche Intelligenz Trauerreden schreiben?

Vor einiger Zeit habe ich selbst einmal daran herumgedacht, ob es wohl möglich wäre eine Automatisierung zu erschaffen, die mit Hilfe weniger Parameter zum Sterbefall und (hundert)tausender geschriebener Trauerreden in der Lage wäre, eine brauchbare Vorlage hervorzubringen. Die ersten zweitausend Reden hätte ich selbst beisteuern können 🙂 Ich habe schnell erkannt, wie naiv meine Überlegungen waren. Meine Versuche wären wie aus Federn gebastelte Flügel, mit denen die Pioniere der Luftfahrt sich den Hang hinunterstürzten, im Vergleich zum Überschallflugzeug der künstlichen Intelligenz.

Also habe ich ChatGPT ausprobiert. Ich habe Anleitungen gelesen und herumprobiert. Beim ersten Versuch war ich sehr beindruckt, wie man der Maschine beim Texten zuschauen kann. Das geht in einer Geschwindigkeit, mit der ich in zehn Minuten mit einer Rede fertig wäre.

Schnell kam die Ernüchterung. Bei wenigen Eckdaten kommt etwas von der Stange heraus, das sich in Struktur und Wortwahl wiederholt und dabei, bis auf die vorgegebenen Details des Sterbefalls, sehr unkonkret ist.

Die Anfrage (auch Prompt genannt) an den Chatbot, die sehr spezifisch formuliert war, brachte einige Formulierungen hervor, die mir als Anregung dienen können. Mehr aber auch nicht. Bei detaillierten Eingaben könnte ich die Rede gleich selbst schreiben.

Was aber viel entscheidender ist: Beide Varianten haben bei mir einen schalen Geschmack hinterlassen, denn die produzierten Texte sind seelenlos und im Grunde genommen eine Beleidigung für jede gute Rednerin und jeden guten Redner.

Vorsicht: ChatGPT erfindet

Bei einem Usecase wurde es mir richtig schlecht. Ein verstorbener Mann liebte Gedichte über alles, er lebte und atmete sie. Für seine Trauerfeier wünschte er sich sehr spezielle Gedichte. Von einem wusste die Tochter des Verstorbenen nur eine Strophe, leider nicht mehr und auch nicht den Autor. Bei Google hat sie nichts gefunden. Ich bot ihr an, für sie zu recherchieren.

Auch ich habe bei Google nichts gefunden. Dann habe ich es mit ChatGPT probiert und war glücklich. Die Maschine verriet mir den Namen des Dichters und spuckte mir alle sechs Strophen aus. Sicherheitshalber fragte ich nach: „Gibt es eine Fundstelle des Gedichtes im Internet?“ Und die Maschine antwortete

„Ja, das Gedicht von E. G. ist im Internet verfügbar. Eine Möglichkeit, das Gedicht online zu lesen, ist über die Seite Projekt Gutenberg, die eine Sammlung von gemeinfreien Texten und Büchern bietet. Hier ist ein Link.“

Nur unter dem Link war das Gedicht nicht zu finden. Dreimal nachgefragt, die Maschine bleibt höflich:

„Es tut mir leid für die Verwirrung und die falschen Links. Ich habe die Informationen zur Entstehung und Veröffentlichung des Gedichts korrekt angegeben, aber versehentlich eine falsche Strophe zitiert und Links zu falschen Gedichten bereitgestellt.“

Bei meinem Beispiel geht es um ein erfundenes Gedicht. Auch ob der Autor der einen bekannten Strophe stimmt, wage ich zu bezweifeln. Wer hier nicht aufpasst, bringt schnell falsche Texte und Urheberschaft in Umlauf.

Eine Meldung bei heise online (Nachrichten-Website der Heise Medien) zeigt die Dimensionen des Problems mit ChatGPT:

„ChatGPT erfindet Gerichtsurteile – US-Anwalt fällt darauf herein. Ein US-Rechtsanwalt befragt ChatGPT nach Präzendenzfällen – und übernimmt die Antwort ungeprüft. Sein Pech: Vor Gericht stellt sich alles als Erfindung heraus.“

heise.de

Was ChatGPT selbst zum Thema des Blogartikels sagt

Ich habe testweise ChatGPT diesen Blogartikel auch schreiben lassen. Du siehst, er fällt ganz anders aus als mein eigener Artikel. Dennoch finde ich den Artikel informativ und ausgewogen. Ich gebe das jetzt nicht als meinen eigenen Artikel aus, sondern benenne ganz klar ChatGPT als Urheber.

Der Prompt:
Schreibe einen Blogartikel zum Thema „Schreiben wir in Zukunft Trauerreden mit ChatGPT?“

Die Antwort

In den letzten Jahren haben wir eine rasante Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) erlebt, die unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht verändert hat. Eine bemerkenswerte Anwendung ist ChatGPT, ein leistungsstarker Sprachmodell, der in der Lage ist, menschenähnlichen Text zu erzeugen. Diese Technologie hat bereits in verschiedenen Bereichen Anwendung gefunden, von Kundensupport bis hin zur kreativen Schreibarbeit. Doch was ist mit einem sensiblen Thema wie Trauerreden? Schreiben wir in Zukunft Trauerreden mit ChatGPT? In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die Vor- und Nachteile dieser Entwicklung.

Der Wert von Trauerreden: Trauerreden sind ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Erfahrung. Sie ermöglichen es uns, unsere Gefühle und Erinnerungen an den Verstorbenen zu teilen, unseren Schmerz auszudrücken und Abschied zu nehmen. Trauerrednerinnen und Trauerredner haben eine einzigartige Fähigkeit, einfühlsame und tröstende Worte zu finden, die den Hinterbliebenen in schweren Zeiten Trost spenden können. Der Prozess des Schreibens und Lieferns einer Trauerrede erfordert Einfühlungsvermögen, persönliche Erfahrung und eine Verbindung zur Familie des Verstorbenen.

ChatGPT als Hilfsmittel: ChatGPT könnte als Hilfsmittel für Trauerrednerinnen und Trauerredner dienen. Es kann eine wertvolle Ressource sein, um Ideen zu sammeln, Formulierungen zu finden und den Schreibprozess zu unterstützen. Durch die Eingabe von Informationen über den Verstorbenen, seine Persönlichkeit, Lebensgeschichte und die Beziehung zu den Hinterbliebenen kann ChatGPT Textvorschläge liefern, die als Ausgangspunkt für die eigentliche Rede dienen können. Es kann dabei helfen, den roten Faden zu finden und die Struktur der Rede zu entwickeln.

Vorteile der Verwendung von ChatGPT:

  1. Zeitersparnis: Die Nutzung von ChatGPT kann den Schreibprozess beschleunigen, indem es Trauerrednerinnen und Trauerrednern dabei hilft, ihre Gedanken zu organisieren und passende Worte zu finden.
  2. Inspiration: ChatGPT kann frische Perspektiven und Ideen liefern, die Trauerrednerinnen und Trauerredner möglicherweise nicht in Betracht gezogen hätten. Es kann helfen, kreative Ansätze zu finden, um den Verstorbenen angemessen zu ehren.
  3. Verfügbarkeit: ChatGPT ist rund um die Uhr verfügbar und kann daher eine nützliche Ressource sein, wenn Trauerreden unter Zeitdruck verfasst werden müssen.

Das Schreiben von Trauerreden mit ChatGPT kann aufgrund einiger Nachteile und Herausforderungen schwierig sein. Hier sind einige mögliche Probleme:

  1. Mangel an Empathie: ChatGPT ist ein Sprachmodell, das darauf trainiert wurde, Texte zu generieren, aber es fehlt ihm an emotionaler Intelligenz und Empathie, die für das Schreiben von einfühlsamen Trauerreden erforderlich sind. Es kann Schwierigkeiten haben, die Gefühle und Bedürfnisse der trauernden Menschen angemessen zu erfassen.
  2. Fehlendes persönliches Wissen: ChatGPT verfügt nur über das Wissen, das ihm während des Trainings bis September 2021 vermittelt wurde. Es kann daher nicht über aktuelle Informationen oder individuelle Details der verstorbenen Person oder ihrer Lebensgeschichte verfügen. Eine personalisierte und authentische Trauerrede erfordert jedoch oft persönliches Wissen über den Verstorbenen und seine Beziehung zu den Hinterbliebenen.
  3. Kulturelle und religiöse Unterschiede: Trauerrituale und -traditionen variieren je nach Kultur und Religion erheblich. ChatGPT kann nicht immer die spezifischen kulturellen oder religiösen Aspekte berücksichtigen, die in einer Trauerrede wichtig sein könnten. Dies kann zu Unangemessenheiten oder Missverständnissen führen.
  4. Sprachliche Einschränkungen: ChatGPT kann gelegentlich Texte generieren, die grammatikalisch korrekt, aber dennoch unangemessen oder unpassend sind. Es besteht die Möglichkeit, dass es ungewöhnliche Formulierungen oder unangemessenen Sprachgebrauch verwendet, die nicht angemessen für eine Trauerrede sind. Es erfordert eine sorgfältige Überprüfung und Bearbeitung durch einen Menschen, um sicherzustellen, dass die Trauerrede den richtigen Ton und die passende Sprache hat.
  5. Mangel an persönlichem Ausdruck: Trauerreden sind oft sehr persönlich und spiegeln die einzigartige Stimme und Persönlichkeit des Redners wider. ChatGPT kann Schwierigkeiten haben, diese individuelle Note einzufangen und die Trauerrede authentisch erscheinen zu lassen.

In Anbetracht dieser Herausforderungen ist es ratsam, ChatGPT als Hilfsmittel zu betrachten, das von einem erfahrenen Redenschreiber oder einem Trauerredner unterstützt wird. Die menschliche Komponente ist unerlässlich, um eine einfühlsame und angemessene Trauerrede zu erstellen, die den Bedürfnissen der trauernden Personen gerecht wird.

ChatGPT: Abfrage 5.6.2023

Veranstaltung beim Mementotag 2024

Funktioniert es, Trauerreden mit ChatGPT zu schreiben? Zu dieser Frage haben über 30 Redner*innen beim Mementotag 2023 diskutiert. Die Entwicklung bei der Künstlichen Intelligenz geht weiter.

Ich möchte mit euch erneut darüber diskutieren, ob – etwas polarisierend ausgedrückt – KI Freund oder Feind des Trauerredners ist. Künstliche Intelligenz schreibt Trauerreden, wie sie jede Art von Texten schreiben kann. Aber genügen die Ergebnisse dem eigenen Anspruch an die Reden? Und was kann KI nicht, weil nur wir Menschen das können.

Für mich als Trauerrednerin ist das eine spannende Frage. Ich werde von meinen Experimenten mit KI-Generatoren berichten, den Einsatzmöglichkeiten und den Grenzen im Sprechen über individuelle Lebensgeschichten.

Anschließend ist Raum für ein Gespräch. Ich freue mich über deine Fragen und die Diskussion.


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