Rituale helfen beim Abschiednehmen. Doch immer mehr Angehörige sind ohne religiöse Bindung. Sie suchen Formen und Möglichkeiten, ihre Gefühle auszudrücken und sich schrittweise vom Körper eines vertrauten Menschen zu lösen. Dabei helfen Rituale.



Rituale in der Trauerfeier sind wichtig

Hilfreich ist eine rituelle Gestaltung mit traditionellen Elementen und neuen Impulsen, mit Symbolen, Worten, Liedern. Bekannt und vertraut sind in der Regel nur die kirchlichen Rituale. Lässt man diese aber weg, fehlt irgendetwas Wichtiges. Das spüren die trauernden Angehörigen und Freundeskreise, das spüren die begleitenden Traurredner/innen und Bestatter/innen. Ohne Rituale im Abschiednehmen bleibt etwas offen.

Traditionellen als auch neuen Ritualen ist gemeinsam, dass sie auf denselben grundlegenden Gesetzmäßigkeiten beruhen. Sie haben eine Funktion im Abschiednehmen, was zunächst unabhängig von der konkreten Gestaltung ist. Mithilfe von Ritualen lösen wir uns vom Alltagsleben.

Das Ritual rührt in der Seele an etwas Größeres. Persönliches Erleben erhält einen größeren Rahmen. Es verbindet die teilnehmenden Menschen miteinander. Sie können sich zu den Lebenden, zu dem oder der Verstorbenen, zum Transzendenten zugehörig fühlen.

Das Ritual gibt einen Rahmen, Gefühle auszudrücken, ohne dass diese endlos sein müssen. Es ermöglicht aktives Handeln, indem sich die innere Bewegung äußerlich in Gesten und rituellen Handlungen zeigen kann.

Gemeinschaftliche Rituale müssen geleitet werden

Wer das Abschieds- oder Trauerritual leitet, kommt nicht darum herum, die Angehörigen zu beraten und deren Wünsche und Bedürfnisse in die Ritualgestaltung mit einzubeziehen. Denn es gibt keine verbindlichen Vorlagen.

Die Kunst in der Leitung von Ritualen besteht darin, durch einen schlichten und verständlichen Ablauf einen Halt zu bieten und gleichzeitig einen weiten Raum zu schaffen, in dem Menschen sich mit den unterschiedlichsten Ritualerfahrungen und Bedürfnissen entspannen können. Deshalb ist die Rolle des Ritualleiters so wichtig. Mit seiner/ihrer Hilfe erleben sich die anwesenden Menschen als eine Gemeinschaft im Hier und Jetzt.

Die Grundelemente von Ritualen sind schnell aufgezählt: Das Tragen von besonderer Kleidung, das Sprechen von Worten, das Lesen von Prosatexten oder  Poesie, Momente der Stille, Musikstücke, Gesang und Klänge, Gesten, Symbole und symbolische Handlungen. Das können Handlungen des Einzelnen sein, wie das Anzünden einer Kerze, oder das gemeinschaftliche Handeln, wenn sich alle in einen Kreis um den Sarg stellen.

Rituale sind Handlungsräume

Der Ort spielt eine Rolle. Das kann ein speziell für gemeinschaftliche Rituale gestalteter Raum wie die Trauerhalle sein, das Grab inmitten anderer schön gestalteter Gräber, oder ein sehr schlichtes Grab in einem Wald. Es sind dem Alltag enthobene Orte, die besonders liebevoll gestaltet sind. Für die Gestaltung von Feiern gibt es Arbeitshilfen, wunderschöne Text- und Musiksammlungen, Dekorationskurse und kunstvolle Gegenstände.

Doch all das sind letztlich Äußerlichkeiten. Nicht ein Ritual beschreiben zu können ist das Wichtigste, sondern es zu erleben. Das Zeitgefühl verändert sich. Zeit bekommt eine Qualität jenseits der verrinnenden Minuten. Man kann die Aufmerksamkeit von den alltäglichen Dingen abziehen und verweilen. Es entsteht eine besondere Atmosphäre, eine Art „heiliger Raum“. Dort muss niemand mehr etwas Besonderes leisten oder Haltung bewahren. Trauernde brauchen diese Räume, um einfach sein zu dürfen wie sie sind: verheult, bedürftig, unlogisch, im Wechselbad der Gefühle, in Kontakt mit sich, mit anderen Menschen und anderen Welten.

Rituale sind auch Handlungsräume, in denen der trauernde Mensch nicht in seinem Schmerz verharren und versteinern muss, sondern die Tränen fließen lassen darf. Er erfährt, dass er den Verlust nicht nur passiv erleidet, sondern fähig ist, den Abschied wirklich zu nehmen, als zu seinem Leben dazugehehörig zu erleben.

Rituale haben nicht automatisch etwas mit Kirche zu tun

Rituale heben sich durch ihre Funktion für das menschliche Miteinander von dem Effizienzstreben und der Außenorientierung unseres modernen westlichen Lebens ab. Der lateinische Begriff religare von dem sich „Religion“ ableitet, bedeutet „anbinden“, „festbinden“. Die theologische Auslegung spricht von der „Bindung an Gott“, die philosophische Auslegung von der „Bindung ans Sein“. Beides ist umfassender als die Bindung als den Glauben einer Kirche oder Konfession.

In den neu entstehenden Ritualen können Menschen Gott begegnen. Viel mehr noch begegnen sie sich selbst in all ihren Dimensionen: den körperlichen, geistigen, emotionalen und spirituellen Aspekten ihres Seins. Ob ein Mensch im Ritual diesen Raum betritt, ob das Ritual heilsam wirkt, das kann kein Ritualleiter herstellen. Aber er kann die Vorraussetzungen schaffen, in dem er selbst mehr „ist“ als „macht“. Von der Verbindung mit dem Sein kommen die stimmigen Impulse, mit denen er bestimmte Gestaltungselemente auswählt.

In einer Welt, in der Menschen funktionieren müssen, in der Trauernde fast unsichtbar sind und ihnen kaum Auszeiten zugestanden werden, werden Rituale dringender denn je gebraucht. Was sich entsprechend der Gesellschaft wandelt und wandeln muss, sind die Formen, die den Abschied begleiten.

Alle Formen von Abschiedsritualen – kirchliche, christliche, nichtkirchliche, weltliche – bilden gemeinsam ein Gegengewicht gegen die Entsorgungsmentalität beim Umgang mit den Toten, die in der Seele der Menschen etwas Entscheidendes offen lässt.


Bildrechte: Birgit Aurelia Janetzky

Diesen Artikel habe ich 2016 auf meinem Blog der Fachberatung Trauerfeier veröffentlicht und in diesen neuen Blog übernommen.