Louise Brown ist Trauerrednerin. Diesen Beruf hat sie ergriffen, nachdem ihre Eltern im Abstand von drei Monaten gestorben sind. Im eigenen Leben war sie mit den Fragen nach dem Leben, dem Sterben und der Trauer konfrontiert. Diese drei Perspektiven – berufliche Eindrücke, persönliche Erfahrungen und Reflexionen über die Endlichkeit des Lebens sind in ihrem Buch miteinander verknüpft. Das Buch ist 2021 im Diogenes Verlag erschienen.
Die Rednerin
Allein mit Daten und Fakten gelingt eine Rede nicht. Das hat Louise Brown bei den Trauerfeiern für Ihre Eltern selbst erlebt. Der Pastor gab in seiner Ansprache die Informationen aus dem Gespräch wieder. Im Nebel der ersten Trauer hat sie sich an die Fakten geklammert, den Lebenslauf, die Meilensteine im Leben. Die entscheidenden Bilder hatte sie dem Pfarrer nicht erzählt: die schmutzigen Knie der Mutter, nachdem sie in ihrem geliebten Blumenbeet gejätet hat. Die entscheidenden Bilder fehlten in der Feier.
Das Gespräch mit dem Pfarrer verlief wohl sehr sachlich. Er wird nicht eigeladen haben, die Erinnerungsbilder zu erzählen, die einen später schmunzeln oder die leise Sehnsucht im Herzen spüren lassen. Als Rednerin weiß Brown, dass sie über Daten und Fakten hinausfragen muss. „Welche Bilder und Lebensmomente sollte man zu den Fakten hinzuholen? Welche sind die richtigen, die wichtigen Erinnerungen?“
Aus ihrem Berufsalltag kommen die Geschichten, mit denen Brown die unterschiedlichen Aspekte der Beschäftigung mit dem Tod veranschaulicht. Wie sie der Überlebenswille von Menschen, die Schweres erlebt und ihr Schicksal angenommen haben, beeindruckt. Es sind Geschichten von Menschen, die den Krieg erlebt haben, den mühsamen Neuanfang nach Flucht und Vertreibung, die früh für sie wichtige Menschen verloren und dennoch das Beste aus ihrem Leben gemacht haben.
Als Trauerrednerin erlebt Louise Brown, dass der Schmerz eines anderen oft auch der eigene ist. Eigene Verluste, eigene Trauer wird durch jede neue Begegnung erinnert und mündet in die Reflexionen über ihre Tätigkeit als Rednerin und dem hohen Anspruch, dem Anlass gerecht zu werden.
Die Motivation, den Beruf der Trauerrednerin zu ergreifen ist auch, den eigenen Schmerz nach dem Verlust der Eltern in etwas Nützliches, gar Positives zu verwandeln. In der Arbeit entdeckt sie die intensiven Momente einer Trauerfeier, wenn Menschen in ihrer Trauer Glück und Freude zeigen können.
Die Tochter, die um ihre Eltern trauert
Wer in diesem Buch Informationen erwartet, wie es geht, als Trauerrednerin zu arbeiten, wird enttäuscht werden. Denn „Was bleibt, wenn wir sterben“ ist ein sehr persönliches Buch. Louise Brown beschreibt ihren eigenen Weg der Trauer. Es ist eine Art biografische Reflexion in ihrer Entwicklung von einer jungen Frau, die als Kind fern gehalten wurde von den Abschiedsgefühlen und sich vor dem Tod ihrer Eltern nie mit Trauer beschäftigt hat. Die eigene Trauererfahrung lässt sie einfühlsam über Trauernde schreiben, über die Menschen, denen sie als Trauerrednerin beinahe täglich begegnet. Die Geschichten dieser Menschen, heben ihre persönliche Geschichte in einen größeren Bezugsrahmen: welche Herausforderung es bedeutet, Abschied zu nehmen.
Aus dem biografischen Ansatz heraus ist die Gliederung des Buches entstanden:
1) Konfrontation mit dem Tod
2) Leben mit der Trauer
3) Annehmen der Endlichkeit
Am Ende formuliert Louise Brown die für sie einzige Antwort auf den Kummer: das Loslassen des Gefühls, für alles eine Antwort zu brauchen. Zu akzeptieren, dass es nicht für alles im Leben eine Erklärung gibt. Und die Dankbarkeit. Den Bogen zum Beginn setzt die Erkenntnis: „Das einzigartige Licht besteht weniger aus dem was wir getan oder erreicht haben (Daten und Fakten), als aus dem, wer wir sind (was sich in Bildern ausdrückt).“
Eine Reise in die Endlichkeit
Louise Brown nimmt mit auf eine literarische Reise in die Fragen hinein, was es heißt, sterblich zu sein. Was bleibt von uns, wenn wir sterben? Woran wollen wir uns erinnern? Wie kann man an seiner Vergänglichkeit wachsen? Wie kann das gehen, mit dem Tod zu leben. Der Schreibstil und Ton sind nie düster, sondern laden ein, einen anderen Blick auf das Sterben und den Umgang mit der Trauer zu legen. Der Tod ist weniger unheimlich und groß, wenn man über ihn spricht. Das Buch ist eine Einladung dazu.
Über die Autorin
Louise Brown stammt gebürtig aus London, als Jugendliche zog sie mit ihrer Familie ins deutsche Ostholstein. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaften in Kiel, Berlin und Nordengland war sie lange Zeit als Journalistin tätig. Heute arbeitet sie als Trauerrednerin bei Beerdigungen. Sie lebt sie mit ihrem Partner und ihren Kindern in Hamburg.
Louise Brown
Was bleibt, wenn wir sterben. Erfahrungen einer Trauerrednerin
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Diogenes (2021)
ISBN-13: 978-3257071764
Preis: 22,00 €
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