Am Ende der Trauerfeier steht die Schwiegertochter des Verstorbenen auf und geht zum Sarg. Sie nimmt einen Korb auf, in dem sich drei Flaschen Mineralwasser befinden, stellt die drei Flaschen neben den Sarg und sagt ganze drei Sätze. Dichter als in diesem Moment kann die Atmosphäre in der Trauerhalle kaum sein.


Ein Ritual am Ende einer Trauerfeier

Dieses kleine Ritual steht in keiner Sammlung „hilfreicher Rituale im Trauerfall“. Es entstammt keiner Ritualberatung. Dieses Ritual hat die Angehörige nicht mit mir abgesprochen, sondern es einfach durchgeführt. Vielleicht würde sie ihre Handlung nicht einmal Ritual nennen.

Natürlich ist die Handlung, drei Wasserflaschen vor einen Sarg zu stellen, erklärungsbedürftig. Die deutenden Worte zur Handlung dürfen nicht fehlen. Das war ihr von sich aus ein Bedürfnis. Die Erklärung ihrer Handlung ist: Der Schwiegerpapa hat früher immer drei Flaschen Mineralwasser ans Bett gestellt, wenn Sohn und Schwiegertochter zu Besuch kamen. Mit dieser Geste hat er gut für sie gesorgt, sie sollten nachts nicht durstig sein und dann aufstehen müssen. Es ist eine Geste der Zuneigung. Die Schwiegertochter erinnert sich gerne daran. Diese Sorge war so typisch für ihn. Nun also bekommt auch er als Geste der Liebe Wasser zur „letzten Ruhe“.

Rituale helfen in der Trauer

Immer mehr Angehörige sind ohne religiöse Bindungen. Sie suchen Formen und Möglichkeiten, sich schrittweise von einem vertrauten Menschen zu lösen. Dabei helfen Rituale. Manchen Menschen sind die kirchlichen Rituale noch bekannt und vertraut. Sie haben sie erlebt, als sie früher in den Gottesdienst gingen oder in einer kirchlichen Jugendgruppe aktiv waren. Für Menschen, die nicht mehr kirchlich sozialisiert wurden, deren Eltern schon weit entfernt von jeder kirchlichen Praxis waren, sind kirchliche Rituale fremd.

Lässt man diese bei der Trauerfeier aber weg, fehlt irgendetwas Wichtiges. Das spüren die trauernden Angehörigen und Freundeskreise, das spüren die begleitenden Bestatter oder Trauerredner. Ohne Rituale im Abschiednehmen bleibt etwas offen, das man durch die Worte einer Trauerrede nicht ersetzen kann, egal wie schön und passend die Worte auch sein mögen.

Traditionellen als auch neuen Ritualen ist gemeinsam, dass sie auf denselben grundlegenden Gesetzmäßigkeiten beruhen. Sie haben eine Funktion im Abschiednehmen, was zunächst unabhängig von der konkreten Gestaltung ist.

Mithilfe von Ritualen lösen wir uns vom Alltagsleben. Das Ritual rührt in der Seele an etwas Größeres. Persönliches Erleben erhält einen größeren Rahmen. Das Ritual stellt einen Raum dar, in dem Gefühle ausgedrückt werden können, ohne dass diese endlos sein müssen. Es ermöglicht aktives Handeln, indem sich die innere Bewegung äußerlich in Gesten und rituellen Handlungen zeigen kann.

Was in den Sammlungen „hilfreicher Rituale im Trauerfall“ steht

Es gibt eine ganze Reihe von Veröffentlichungen, in denen auf den Wert von Ritualen hingewiesen wird. Bestimmte rituelle Handlungen fehlen in keiner Handreichung für Trauernde. Regelmäßig sind dort genannt:

  • Sargbeigaben: Dem/der Verstorbenen werden Dinge mit in den Sarg gegeben. Das können Fotos sein, Blumen, ein Rosenkranz, ein Kuscheltier, ein Gegenstand, der mit Erlebnissen und Erinnerungen verbunden ist.
  • Gestaltung in der Trauerhalle: Aus einem großen Sortiment von Schmuckurnen wir die passende Urne ausgewählt. Es wird ein Foto des oder der Verstorbenen aufgestellt. Die Lieblingsfarben kommen zum Einsatz. Die Blumen waren die Lieblingsblumen. Persönliche Gegenstände zieren den Sarg. Das kann das Werkzeug eines Handwerkers sein, die Kopfbedeckung eines Bergmanns, das Strickzeug der Oma, die allen aus der Familie jedes Jahr an Weihnachten selbstgestrickte Socken geschenkt hat.
  • Sarg bemalen: Immer häufiger sind Sarg oder Urne bemalt. Motive sind oft Herzen, Blumen oder Regenbogen.  Beschriftet wird der Sarg Dankesworten, die von Herzen kommen, letzten Grüßen und guten Wünsche für den Weg.
  • Kerzen anzünden: An die Trauergäste werden Teelichter verteilt, die sie anzünden und in der Nähe des Sarges oder der Urne in eine Schale stellen können. Während der Trauerfeier geben diese Kerzen ein warmes Licht.
  • Einen Brief an den verstorbenen Menschen schreiben: EEin letzter Brief kann hilfreich sein, wenn vieles nicht mehr gesagt werden konnte. Beim Schreiben treten die Schreibenden in einen inneren Dialog mit der verstorbenen Person und können ihre Liebe, ihre Enttäuschung oder ihren Dank noch einmal ausdrücken.
  • Die Urne selbst tragen: Die innige Nähe kann bis zuletzt ausgedrückt werden. Manchmal wechseln sich mehrere Familienmitglieder auf dem Weg zu Grab dabei ab.  

Wie Angehörige die Trauerfeier mitgestalten können

Die wenigsten fühlen sich in der Lage, in der Trauerfeier selbst etwas zu sagen. Doch manchen ist es ein tiefes Bedürfnis, das Wort zu ergreifen. Angehörige lesen ein Gedicht oder einen Abschiedsbrief vor, manche sprechen frei, aus den Empfindungen im Moment heraus. Anekdoten wechseln sich mit Dankesworten ab. Ganz aus dem persönlichen Kontakt heraus gesprochen, haben diese Beiträge einen völlig anderen Charakter als die offizielle Trauerrede.

Bei den meisten Trauerfeiern drückt sich die persönliche Gestaltung jedoch durch die Musik aus. In Zeiten, in denen kaum noch miteinander gesungen wird, nimmt auch der gemeinsame Gesang in der Trauerfeier ab. An dessen Stelle treten Musikstücke von CD oder Musiker, die die Feier live begleiten. Musik berührt die Gefühle, gesungene Lieder oft mehr als instrumentale Stücke. Die Lieder verbinden die Trauernden mit besonderen Situationen oder Eigenschaften des/der Verstorbenen. Viele Liedtexte drücken aus, was die Trauernden empfinden.

Hier beteiligen sich Angehörige sowohl in der Auswahl der Lieder als auch in der technischen Vorbereitung. Wenn die technischen Kenntnisse in der Familie vorhanden sind, kann man das Herunterladen und Zusammenstellen der Liedtitel getrost der Familie überlassen. Manch ein Technikfreak ist froh, wenn er so im Hintergrund die Trauerfeier aktiv mitgestalten kann.

Nach meiner Beobachtung sind es besonders die Enkelkinder, die sich trauen, selbst auf ihrem Instrument etwas zu spielen oder ein Lied vorzusingen. Aufgeregt und stolz, sichtbar in ihrer Liebe und Verbundenheit – so bleibt die Trauerfeier in besonderer Erinnerung.

Die vier Aufgaben der Begleitenden

In der Vorbereitung der Trauerfeier lohnt es sich, ein besonderes Augenmerk auf die rituelle Gestaltung zu legen. Eine sehr klassische Trauerfeier mit wenigen persönlichen Elementen ist genauso wertvoll wie eine bis ins Detail individualisierte Feier.

Bei all der beeindruckenden Kreativität, die manche Bestatter, Trauerredner, aber auch Angehörige anlässlich der Beerdigung entwickeln, geht es nicht um die Kreativität an sich. Es geht darum, eine angemessene, passende Form zu finden und sei sie noch so traditionell oder schlicht. Die Balance ist wichtig.

Es geht weder darum, Kreativität und persönlichen Ausdruck der Angehörigen abzuwehren (weil das für die Begleitenden mehr Arbeit bedeutet), noch die „Individualität“ bei den Trauernden zu forcieren (weil die Begleitenden das für eine „richtige“ Trauerverarbeitung wichtig finden).

Ich sehe vier Aufgaben für die Begleitenden, wenn sie mit Angehörigen die rituelle Gestaltung einer Trauerfeier besprechen:

  1. Ermutigen: Gerade Menschen, die kaum Erfahrungen mit der Gestaltung eines Abschieds haben, brauchen die Ermutigung. Sie haben Wünsche, sie haben Ideen, trauen sich aber nicht so recht, vom Bekannten abzuweichen. Wenn sie spüren, dass der begleitende Bestatter oder Trauerredner ihren Wunsch ernstnimmt, ihre Idee nicht bewertet, sondern willkommen heißt, fassen sie den Mut ihre eigenen Formen zu verwirklichen.
  2. Raum geben: Sowohl in der Vorbereitung als auch in der Durchführung der Gestaltung einer Trauerfeier muss vermieden werden, dass Angehörige unter Druck geraten. Die Entscheidungsfindung für das eine oder das andere Gestaltungselement benötigt Zeit. Manche wollen sich noch mit anderen beraten und eine Nacht darüber schlafen. Hier ist es wichtig in Ruhe klare Ansagen zu machen, bis wann die Entscheidung gefallen sein muss.
  3. Beraten: Zur Begleitung gehört auch, mit den Betroffenen das Für und Wider abzuwägen. Einen eigenen Beitrag leisten bedeutet ja auch, aus der gesamten Verwandtschaft herauszutreten und eine besondere Rolle einzunehmen. Manche haben Angst in Tränen auszubrechen, wenn sie am Rednerpult stehen. Für sie ist es vielleicht wichtig einen Plan B zu haben, eine Vertretung, wenn die eigene Stimme versagt. Hilfreich ist auch, ihren Mut würdigen, selbst das Wort zu ergreifen.
  4. Unterstützen: Bei manchen geplanten Ritualen sind ganz praktische Fragen zu klären: Reicht die Zeit, dass 300 Trauergäste eine Kerze entzünden oder bekommen nur die Familie und engsten Freunde ein Licht in die Hand. Welches Material wird benötigt und kann es vom Bestatter/ Redner zur Verfügung gestellt werden. Dazu zählen farbige Tücher, Tischchen und Podeste, um etwas abzulegen, eine Staffelei für das mitgebrachte Bild etc.

Es gibt kein Ritualbuch

Es existiert kein Ritualbuch nichtkirchlicher Rituale, das bei Bedarf aus dem Regal gezogen werden kann. Denn „nichtkirchlich“ ist keine Glaubensgemeinschaft, „nicht konfessionell“ keine eigene Konfession. Die Bezeichnung ergibt sich nur aus der Abgrenzung zu „kirchlich“ oder „konfessionell“. Freie Trauerfeiern sind auch frei in der Gestaltung.

Deshalb ist die Rolle des Beratenden und des Ritualleiters so wichtig. Mit seiner Hilfe erleben sich die anwesenden Menschen als eine Gemeinschaft im Hier und Jetzt. Wer das Abschieds- oder Trauerritual leitet, kommt nicht darum herum, die Angehörigen zu beraten und deren Wünsche und Bedürfnisse in die Ritualgestaltung mit einzubeziehen.

Es gibt keine verbindlichen Ritualvorlagen oder festgelegte Abläufe. Es geht es um den Raum, den die Angehörigen für sich nutzen können, wie die Schwiegertochter, die einfach drei Wasserflaschen in einen Korb packt und mit zur Trauerfeier bringt. Die Kunst in der Leitung von Ritualen besteht darin, durch einen schlichten und verständlichen Ablauf einen Halt zu bieten und gleichzeitig einen weiten Raum zu schaffen, in dem Menschen sich mit den unterschiedlichsten Ritualerfahrungen wohlfühlen und mit Hilfe von Ritualen ausdrücken können.


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